Autor:Detlef Doletzky
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Kapitel 2. Grenzgebiet
Kapitel 2
GRENZGEBIET
 
 Unsere Clique traf sich an einem schönen Sommerferientag 1971 bei mir zu Hause im Schuppen, der zur damaligen Zeit einen hohen, halbspitzigen Dachboden hatte.

Auf dem Schuppendachboden befand sich unsere Bude. Unsere Bude war so gut eingerichtet, dass man sogar mit Hilfe eines alten Kinderblechkochherdes Mittagessen kochen konnte, was wir eben Essen nannten, ein paar Eier mit Zwiebeln, sogar mal Bratkartoffeln.

Wir berieten uns über eine Pilzsuche, da die Zeit heran war, suchten viele Bürger unserer Stadt Pilze. Jedoch wussten wir aber gleichzeitig, dass unsere Wälder überlaufen seien und wir gar keine mehr finden würde. So mussten wir uns etwas Besseres einfallen lassen. Roland brachte diese Idee ans Tageslicht. „Wir suchen einfach im Grenzgebiet, da ist bestimmt kein Mensch!“.

Das Grenzgebiet, so nannten wir es, gehörte zur Nationalen Volksarmee, kurz NVA der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, DDR genannt.

Unsere Kleinstadt lag etwa 3 bis 4 Kilometer davon entfernt, in Richtung des Flusses und den Waldgewässern. Diese Gegend galt als Grenzsumpfgebiet und durfte von keinen Menschen betreten werden, worauf die gelben Verbotsschilder hinwiesen. 

Oberhalb des Gewässers lag dann das Grenzgebiet. Dieses umfasste ein riesiges Waldgebiet. Meine Spezialität als Cliquenkamerad lag darin, einen klugen Vorgangsplan auszutüfteln, wie auch an jenem Tag.

Meine Idee war es, am Abend bei Anbruch der Dunkelheit gegen 22.00 Uhr zu gehen, weil man uns zu dieser Zeit nicht mehr sehen kann. Für Roland und mich war diese Zeitansetzung möglich.

Wir durften uns bis in die Nacht herumtreiben. Da mein Vater meistens Nachtschichten als Wachmann bei der NVA machte. Bei Roland, sein Vater waren es die NVA- Dienstreisen, wo er oft als Offizier tagelang nicht zu Hause war. Fred stieg leider aus, denn er konnte nun wirklich nicht, weil er spätestens um 19.00 Uhr daheim sein musste. Seine Eltern wollten eigentlich nicht, dass er mit uns spielt, weil wir uns zu viel herumtreiben würden. Wir besorgten uns wie geplant eine gute Ausrüstung, dazu gehörte ein scharfes Messer, zwei Taschenlampen und zwei Beutel, dunkle Kleidung, dass uns keiner erkennen konnte. In unserem Kopf schwirrte vieles herum, wie sich wohl unsere Eltern freuen, wenn wir zu dieser Zeit jeder einen großen Beutel Pilze nach Hause brächten. Auf jeden Fall stärkte uns der Gedanke sehr. Es war gegen 21.00 Uhr meinte ich, denn so richtig kannte von uns keiner die Uhrzeit. Wir verließen uns einfach auf unsere Gefühle und ahnten, dass die Zeit heran war. Mein Vater war zu jener Zeit noch Wachmann im Dreischichtsystem bei der NVA. Er besaß einen guten, braunschwarzen Schäferhund, der eigens dazu ausgebildet wurde, um Spione im Grenzgebiet zu stellen, wenn es sein muss, auch anzugreifen.

Das Sperrgebiet umfasste ca. 12 ‚Quadratkilometer, was ich erst später teilweise mitbekam, bei einem Gespräch zwischen meiner Mutter und meinem Vater. Die Zeit war heran und wir machten uns auf den Weg. Nach einer dreiviertel Stunde Wanderung durch hohe Tannenwälder und Sumpfgebiete kamen wir dem Ziel näher. Wir hörten Eulen und andere Tierlaute, die uns das Fürchten lehrten, dazu kamen obendrein die dummen Sprüche von Roland. „Hu es kommt ein Gruselgeist!“ Ich ließ mir nichts anmerken. Obwohl es mir doch ein wenig unheimlich vorkam, spann ich mir ebenfalls Schauergeschichten aus. Von Leuten, die hier schon vor Jahren im Moor ertranken, wie mein Vater oftmals, wenn er etwas getrunken hatte, erzählte. Durch die große Vielzahl an Leuchtkäfern wurden früher oft Menschen in die Irre geführt. Denn sie sahen die Leuchtkäfer bei Nacht im Wald und freuten sich, dass man die Heimat endlich in der Nacht erreichte hatte. Vor Freude rannten sie los, denn es sah so aus wie eine Stadt voller Lichter, wenn sich die Leuchtkäfer paarten. Die Menschen liefen ins tiefe Moor, sie schreien nach Hilfe … doch keiner hörte sie!

Roland schauerte es sehr: „Höre bitte auf!“ Meinte er eingeschüchtert. Mir schauerte es nun auch. Ich sprach ein wenig bedrückt „Und sie ertranken jämmerlich.“ Keiner von uns beiden sagte etwas, anscheinend haben wir uns zu viel vorgenommen. Allein durch den Wald bei Nacht zu marschieren und das gerade mal mit neun Jahren. Wir gingen einfach der Nase entlang. Mit dem Licht mussten wir ein wenig sparen, unsere Batterien waren schon fast aufgebraucht. Plötzlich stolperte Roland über einen alten, ehemaligen Zaundraht, der früheren Gartenanlagen, die nun aber schon verwildert sind. „Was ist?“, rief ich erschrocken. „Ich glaube, wir sind gleich da!“, meinte Roland und schimpfte entsetzt vor sich hin. Vor uns war ein zwei Meter hoher Maschendrahtzaun der oben drei Reihen Stacheldraht nach außen gebogen hatte. Verwundert standen wir davor. „Und wie kommen wir nun darüber?“, fragte Roland. „Nun bin ich an der Reihe!“, dachte ich so. „Nun ja!“, meinte ich ein wenig unsicher und ängstlich, „wir gehen hier den Zaun entlang bis ein Wildschweinwechsel kommt und da kriechen wir dann durch.“ „Ich habe schon öfter welche gesehen!“ „Na los“, flüsterte Roland und kroch links die Böschung aufwärts. Nach meinen Kenntnissen näherten wir uns dem Treibstofflager.

Mein Vater erzählte viel davon meiner Mutter. Daher auch die großen Sicherheitsvorkehrungen, denn von unserem derzeitigen Punkt aus, müssten in 500 m Entfernung ein 10 Kilo Volt, dass heißt 10 000 Volt geladener Hochspannungszaun liegen. Die vielen Warnschilder „Vorsicht Hochspannungszaun“ wiesen darauf hin.

Obwohl schon vor Eintritt ins Sperrgebiet Schilder standen „Sperrgebiet“, in drei Sprachen, „Eltern haften für ihre Kinder, „Betreten verboten“, nahmen wir diese nicht für voll und befanden uns bereits einen Kilometer im Sperrgebiet. Unser Traum erfüllte sich nach kurzer Suche, vor uns breitete sich ein wunderbares Pilzparadies aus. Steinpilze, Maronen, einfach alles. „Los, schnell, sammle ein!“, rief Roland. Ich war leicht verdattert. Ich riss die Pilze meist mitsamt der Wurzel aus dem kaltfeuchten Boden, um so schnell wie möglich hier wieder weg zukommen. Im selben Moment, als wir an nichts mehr dachten als an die Pilze, hörten wir schon Hundegebell, ich rief „Mist auch das noch“ und fing schon fast an zu heulen, als ich den ersten Schäferhund zwischen den Tannen entdeckte. Roland rief: „Los, hauen wir ab!“ Wir rannten los und wussten nicht einmal wohin, da wir vor Schreck kurzzeitig unsere Orientierung verloren hatten, wie aufgeschrecktes Wild das dann kreuz und quer davon läuft. „Wohin sollen wir denn laufen?“, rief ich Roland zu und unterdrückte mein verzweifeltes Weinen. „Was ist, wenn sie uns nun erschießen?“, wurde mein nächster Gedanke „Quatsch, die schießen doch nicht auf Kinder!“ Ich fühlte mich dadurch etwas ruhiger.

Jemand rief etwa. 50 Meter hinter uns: „Halt, bleiben sie stehen, oder ich schieße!“ Mir schlug das Herz bis zum Kopf hoch, wir wussten nur noch eins, rennen was das Zeug hergibt, bis wir den Zaun erreichten, denn außerhalb durfte man nicht schießen. Dieser Bereich unterlag dem ABV– Abschnittsbevollmächtigten – kurzum der Volkspolizei, VP genannt. Wir hatten fast den Zaun erreicht. Im selben Moment hörten wir einen heftigen Knall einer großen MP. Höchstens drei oder vier Meter neben mir wurde ein Ast von einem Baum abgeschmettert, als schlüge dort ein Blitz ein, mir rutschte das Herz in die Hose. Wir schmissen uns beide gleichzeitig durch das herannahende Wildpfadloch, rannten den Berghang hinab bis tief ins Sumpfgebiet, da flog ich über einen Baumstumpf und platschte voll hin.

Mein Knie wurde von einem abgebrochenen alten Ast auf der rechten Seite aufgeschlagen. Roland half mir hoch und vor lauter Schmerzen erreichten wir die altbekannte Feldkante, wo ein alter Jägerstand an den Fluss stand.

Dort erst wurde das Stadtlicht sichtbar und man konnte Genaueres sehen. Unsere Pilzbeutel waren nur noch halb voll und alle Pilze zerquetscht. „So ein Mist!“, rief ich zornig und mir wurde kotzübel, als wenn ich abklappen würde. Ich kippte meinen Beutel aus, genauso wie Roland. Es würde doch nichts bringen. Ich schaute mir mein Knie an. Es sah nicht gut aus. Eine etwa ein Zentimeter breite, tiefe Wunde, die stark blutete, hatte ich davontragen müssen.

Nachdem wir uns ausruhten und ich meine Wunde mit einem Taschentuch versorgt hatte, brachen wir auf, um vor der Morgendämmerung nach Hause zu kommen. Während wir so liefen, fiel zwischen uns beiden kein Wort mehr. Jeder grübelte für sich über diese Nacht nach. Das einzige, was ich bemerkte, war, dass Roland mich die ganze Zeit unter dem Arm stützte. Endlich waren wir in der Siedlung angekommen. Vor unserer Haustür schwor ich „Roland, es darf nie jemand von heute erfahren … niemand!“ „Und was ist mit deinem Knie?“, fragte Roland. „Ach, da lass ich mir schon irgendwas einfallen!“ Und entfernte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht. Die Türe war zum Glück offen, wie meist immer, sonst müsste ich erst über das hintere Verandadach und durchs Toilettenfenster, denn das war immer offen und mein zweiter Einstieg. Ich schlich nach oben, wusch mich schnell und knallte mir ein dickes Pflaster auf das Knie.

Am nächsten Abendtisch war mein Vater zu Hause. Wir aßen alle gerade Abendbrot, als mein Vater anfing, sich mit Mutter zu unterhalten. Es ging zu jeder Mahlzeit streng vor sich. Es durfte nur selten gesprochen werden und wir mussten uns zusammenreißen, wenn es mal was Gutes gab, von dem wir mehr essen würden. Wir durften auch keine Gemütsäußerungen von uns geben. Es musste alles nach dem Vater gehen. Im Allgemeinen waren meine Geschwister immer ein wenig bedrückt und trauten sich nichts, wenn Vater mit uns aß.

 „Einen Haufen Schreibkram habe ich gehabt!“, redete mein Vater im leicht angetrunkenen Zustand, man hörte bei ihm dann immer das Lallen heraus.

„Einen Schuss musste ich abschießen … und habe die Männer nicht bekommen und die Arbeitskollegen glauben mir nicht. Sie haben nur gelacht!“

 „Du hast wohl auf ein Wildschwein geschossen, vor Angst!“, meinte einer der Kollegen.

„Erich, sie müssen weniger trinken, sonst sind sie nicht mehr tragbar für uns!“, meinte ein Offizier der Landstreitkräfte … Nur ich und Roland wussten, dass dieses stimmte und erzählten diese todbringende, ernsthafte Geschichte bis zum heutigen Tag keiner Menschenseele.

Wäre dieser Leichtsinn raus gekommen, hätte mich mein Vater bestimmt Tot geprügelt.

Vieles sieht einfacher in Kinderaugen aus, als es wirklich ist. Man kann schnell sein Leben verlieren und man würde seit 1971 als totes Kind vergessen sein.

"Der stählerne Weg"

 
 
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